Studienblog

Geschlechterunterschiede Teil 2

Persönlichkeit von Männern und Frauen

Im letzten Teil sind wir bereits auf angebliche neurologische Unterschiede zwischen Männern und Frauen in ihrer „Gehirnverdrahtung“ eingegangen. Im zweiten Teil wollen wir die Unterschiede zwischen den Geschlechtern in Bezug auf ihre Persönlichkeit besprechen.

Zuallererst – ja, eure Wahrnehmung stimmt. Frauen und Männer unterscheiden sich in ihrer Persönlichkeit signifikant. Wobei man wie immer etwas genauer hinschauen muss. Denn zu 50% sind die Unterschiede extrem niedrig bzw. nicht existent und zu weiteren 25% sind sie nicht stark genug, um unmittelbar praktische Relevanz zu besitzen. Substanziell unterscheiden sich Mann und Frau nur in Bezug auf 25% ihrer Persönlichkeit. Diese 25% führen also zu unserer Wahrnehmung, dass die Persönlichkeit von Männern und Frauen von unterschiedlich sind

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Aber auch diese Aussage kann man am Ende nicht so stehen lassen. Denn es zeigt sich, dass der Entwicklungsstand eines Landes starken Einfluss auf die Unterschiedlichkeit der Geschlechter hat und das auf eine unerwartete Weise!

Außerdem bedeutet der bloße Umstand, dass Unterschiede in der Persönlichkeit zwischen den Geschlechtern gefunden werden nicht, dass dies auf genetische Ursachen zurückzuführen ist. Die Persönlichkeit ist nur zu 50% auf Gene zurückzuführen. Die restlichen 50% sind Umweltfaktoren, womit z.B. die Art des Aufwachsens, die Heimatkultur und spezifische Erfahrungen gemeint sind. Die Unterschiede könnten also auch ohne Weiteres von Umweltfaktoren erzeugt werden und nicht angeboren sein.

Definition Persönlichkeit

Die Persönlichkeit beschreibt relativ stabile Verhaltenstendenzen. Jemand, der sich gerne unterhält, wird diese Tendenz unabhängig von der konkreten Situation zeigen. Ob in der Schule, der Uni, am Arbeitsplatz oder bei sich zu Hause. In der modernen Persönlichkeitspsychologie wird fast ausschließlich das Big Five Persönlichkeitskonzept angewandt. Keine andere Persönlichkeitstaxonomie konnte so oft in so vielen Kulturkreisen empirisch bestätigt werden. Der Name leitet sich von fünf sehr weit gefassten Persönlichkeitsdimensionen ab (Neurotizismus/emotionale Instabilität, Extraversion, Offenheit für Erfahrung, Verträglichkeit, Gewissenhaftigkeit). Die Dimensionen können nochmals in insgesamt 30 enger gefassten Facetten unterteilt werden. Mehr Infos rund um die Persönlichkeit und auch unseren Big Five Test findest du hier.

Was sind die Unterschiede zwischen Männern und Frauen?

Im Großen und Ganzen...

Eine groß angelegte Studie von Kajonius und Johnson (2018) mit 320.128 Teilnehmern hat nicht nur die Unterschiede zwischen den Geschlechtern in Bezug auf die fünf Persönlichkeitsdimensionen der Big Five untersucht, sondern auch die 30 Persönlichkeitsfacetten berücksichtigt. Somit konnten sich die Autoren ein umfassendes Bild machen.

Im Großen und Ganzen bestätigen ihre Daten vorherige Studien. Frauen erhalten in jeder Persönlichkeitsdimension höhere Werte als Männer. Sie sind also neurotizistischer (emotional instabiler), extravertierter, offener, verträglicher und gewissenhafter als Männer. Allerdings sind die Unterschiede in den drei Dimensionen Extraversion, Offenheit für Erfahrung und Gewissenhaftigkeit sehr gering.

Zu 75% sind sich die Geschlechter gleich!

Wenn man z.B. zufällig einen Mann auswählen würde und diesen mit einer ebenso zufällig ausgewählten Frau vergleicht, dann läge die Wahrscheinlichkeit gerade mal bei ca. 55,3%, dass die Frau offener ist als der Mann. Zur Erinnerung, läge die Wahrscheinlichkeit bei 50%, würde es sich hier um Zufall handeln. Es gäbe also gar keine Tendenz, genauso wie beim Wurf einer Münze, da die Wahrscheinlichkeit für Kopf oder Zahl jeweils bei 50% liegt. Wendete man das gleiche Beispiel auf die Persönlichkeitsdimension Gewissenhaftigkeit an, so läge die Wahrscheinlichkeit bei ca. 53,4%. Im Falle Extraversion schließlich bei ca. 50,6%.

Das Geschlecht ist im Falle dieser drei Dimensionen ein sehr schlechter Indikator, wie offen, extravertiert oder gewissenhaft jemand ist. Außerdem bleibt zu bedenken, dass die getätigten Wahrscheinlichkeitsangaben sich nur darauf beziehen, ob jemand stärker ausgeprägt ist in der jeweiligen Persönlichkeitsdimension als der andere. Nicht, wie viel stärker die Ausprägung ist. Die Wahrscheinlichkeit, dass eine Frau offener als ein Mann ist, ist also um 5,3% erhöht. Ob die Frau dabei sehr viel offener oder nur ein bisschen offener ist, bleibt unbeantwortet!

Zu 25% unterscheiden sich die Geschlechter substanziell!

Zu Angang hatten wir darauf hingewiesen, dass die Persönlichkeit zwischen Frauen und Männern zu 75% gleich oder sehr ähnlich ist. In den verbleibenden 25% hingegen findet man zum Teil erhebliche Unterschiede.

In den Big Five Persönlichkeitsdimensionen Neurotizismus (emotionale Instabilität) und Verträglichkeit treten eindeutige Unterschiede zutage.

Wenn wir wieder unser Beispiel anwenden und zufällig einen Mann und eine Frau auswählen würden, so läge die Wahrscheinlichkeit, dass die Frau neurotizistischer (emotional instabiler) ist bei ca. 61,1%. Bei der Persönlichkeitsdimension Verträglichkeit liegt dieser Wert sogar bei ca. 66%. Nun sind die Persönlichkeitsdimensionen der Big Five sehr weit gefasst und subsumieren eine Vielzahl von Verhaltensweisen. Wenn wir uns allerdings die Facetten anschauen, können wir uns ein relativ detailliertes Bild davon machen, inwiefern sich Männer und Frauen unterscheiden.

Geschlechtsunterschiede auf Facettenebene - Neurotizismus

Innerhalb der Dimension Neurotizismus (emotionale Instabilität) unterscheiden sich Frauen substanziell von Männern in den Persönlichkeitsfacetten Ängstlichkeit und Verletzbarkeit. Ängstliche Personen sind, wie der Name schon verrät, leicht zu verängstigen. Sie fühlen sich schnell angespannt und nervös. Verletzlichkeit spiegelt einen schlechten Umgang mit Druck wieder. Je höher die Werte in dieser Facette, desto eher reagiert man in stressigen Situationen mit Panik und Hilflosigkeit.

Männer sind substanziell weniger ängstlich und weniger verletzlich. Eine gewisse Angstfreiheit ist besonders dann sinnvoll, wenn es darum geht, neue Aufgaben zu übernehmen und etwas zu wagen, wie die Gründung eines Unternehmens. Wer darüber hinaus tendenziell weniger verletzlich ist, der bleibt auch dann selbstsicher und rational, wenn er unter großen Druck steht. Insbesondere in Führungspositionen kommt einem diese Fähigkeit zugute.

Geschlechtsunterschiede auf Facettenebene - Verträglichkeit

Innerhalb der Persönlichkeitsdimension Verträglichkeit weichen Frauen und Männer in den Facetten Altruismus und Mitgefühl stark voneinander ab. Frauen sind sowohl altruistischer und mitfühlender als Männer.

Altruismus beschreibt, wie gerne man anderen hilft. Altruistische Personen nehmen Helfen als sehr lohnenswert wahr und empfinden dabei ein Gefühl der Selbsterfüllung. Helfen befriedigt also unterschiedliche Bedürfnisse des Helfers.

Insbesondere bei Tätigkeiten, in denen man direkt und unmittelbar anderen Menschen zur Hilfe kommt, wie in unterschiedlichen sozialen Berufen, führt eine solche Persönlichkeit zu einer größeren Arbeitszufriedenheit.

Wer hohe Werte in der Facette Mitgefühl erreicht, der nimmt die Gefühle anderer sehr intensiv und teilweise wie die eigenen wahr. Mitfühlende Menschen entwickeln schnell Mitleid und können sich entsprechend gut in eine andere Person hineinversetzen.

Ein sehr mitfühlender Mensch wird sein Glück nicht in Tätigkeiten finden, in denen er harte, aber wichtige und rationale Entscheidungen treffen muss, welche anderen Menschen potenziell schaden. Dazu kann z.B. das Entlassen von Mitarbeitern gehören. Dafür brillieren sie in Aufgaben, da einfühlsames Vorgehen gefragt ist und Sympathie erzeugt werden muss, wie dem erziehen von Kindern.

Geschlechtsunterschiede auf Facettenebene – Bewusstheit für Emotionen

Obwohl Frauen insgesamt in der Persönlichkeitsdimension Offenheit für Erfahrung nur geringfügig höhere Werte erhalten als Männer, sticht die Offenheits-Facette Bewusstheit für Emotionen heraus. Denn Frauen erhalten auch in dieser Facette substanziell höhere Werte als Männer.

Wem seine Emotionen besonders gut bewusst sind, der weiß in der Regel, was er genau fühlt und was der Hintergrund dieser Gefühle ist. Entsprechend fällt es Frauen leichter, emotionalen Problemen auf den Grund zu gehen und diese zu lösen. Männern fällt es hingegen schwerer als Frauen ihre Emotionen zu benennen und es ist ihnen seltener bekannt, warum sie entsprechende Gefühle haben.

Geschlechtsunterschiede auf Facettenebene – Höhere Werte bei Männern

Männer erhalten nur in zwei Facetten eindeutig höhere Werte als Frauen. Zum einen in der Facette Erlebnissuchend, welche zur Dimension Extraversion gehört und zum anderen in der Facette Intellekt, welche zur Dimension Offenheit für Erfahrung gehört.

Wer Erlebnisse sucht, der ist bereit, ein höheres Risiko einzugehen, um das Gefühl der Aufregung zu erzeugen. Der Kick, den Extremsportler fühlen, ist z.B. eine Extremvariante dieser Aufregung. Männer suchen also aktiver als Frauen aufregende und tendenziell gefährliche Situationen.

Die Facette Intellekt beschreibt nicht die Intelligenz einer Person, sondern dessen Belesenheit und Interesse an abstrakten Problemen sowie Ideen. Intellektuelle Personen denken gerne über unkonventionelle Lösungen nach und diskutieren gerne. Der typische Philosoph erhält in dieser Facette hohe Werte.

Was bedeuten die Unterschiede?

Das Spannendsten an den Unterschieden zwischen Mann und Frau ist, dass sie scheinbar unsere Sichtweisen und Klischees über die Geschlechter wiedergeben bzw. bestätigen.

Da ist auf der einen Seite die ängstliche, schnell panisch werdende Frau, die sich mit ihren Emotionen auskennt, die Gefühle anderer wahrnimmt und gerne hilft. Auf der anderen Seite ist der angstlose, auch in Stresssituationen ruhigbleibende Mann, der Nachhilfe in Sachen Gefühle braucht, Risikobereitschaft zeigt und gerne über abstrakte Dinge sinniert.

Von Frauen wird geradezu erwartet, die ängstlichere Person zu sein. Mädchen werden im geringeren Maß als Jungs dazu ermutigt, selbstständig ihre Umgebung zu erkunden und wenn sich ein Mädchen verletzt, wird ihre Verletzung ernster genommen als bei einem Jungen. Jungs hingegen traut man mehr Autonomie zu, hat weniger Angst, dass ihnen etwas Schlimmes widerfahren könnte und Verletzungen werden weniger ernst genommen. Jungen sollen schließlich „Männer“ sein, nicht „rumheulen“ und keine Gefühle zeigen.

Wie weit unsere Gesellschaft davon entfernt ist, Jungs und Mädchen gleich zu erziehen, erkennt man, wenn man Spielzug für das jeweilige Geschlecht vergleicht. Bei Jungs geht es besonders oft um Kampf, Abenteuer und große Maschinen. Bei Mädchen eher um Kochen, Schminken und dem Nachspielen von Alltäglichen.

So werden Jungs bereits im Spiel dazu aufgefordert, sich Ängsten zu stellen und Stresssituationen zu erleben. Dadurch lernen sie von Kindesbeinen an, besser mit Angst und Stress umzugehen.

Auch bei Erwachsenen existieren sehr unterschiedliche Erwartungen an das jeweilige Geschlecht. Während der Mann möglichst groß und muskulös sein soll, sollen Frauen maximal dezent muskulös sein, da sie ansonsten nicht mehr weiblich erscheinen. Eine ängstliche Frau stellt für einen Mann die Chance dar, sich um jemanden zu kümmern. Ein ängstlicher Mann hingegen ist eine Memme.

Männer, die Risiken eingehen, werden außerdem von beiden Geschlechtern bewundert. Risikobereitschaft beim Mann ist also bis zu einem gewissen Maß vorteilhaft für seine soziale Stellung und Erfolg bei Frauen.

Gleiches gilt für den Intellekt. Der vielwissende, hochgebildete Mann ist bei Frauen beliebter. Umgekehrt hingegen ist dem Mann eine hohe Bildung bei der Frau weniger wichtig.

Es scheint insgesamt vieles darauf hinzuweisen, dass die Unterschiede zwischen Männern und Frauen sozialisiert sind und nicht auf Gene zurückzuführen sind. Würde die körperlich starke, muskulöse Frau bei Männern beliebter sein, so würden vermutlich mehr Frauen diesem Bild entsprechen und würden als Nebeneffekt weniger ängstlich sein. Umgekehrt, würde der risikobereite Mann von Frauen abgestraft werden, würden Männer diese Eigenschaft geringer entwickeln wollen.

Zur Klärung der Frage, was angeboren und was erlernt ist, lohnt sich ein Blick auf andere Kulturräume als den westlichen und inwiefern sich dort die Persönlichkeiten zwischen den Geschlechtern unterscheiden. Dies werden wir im nächsten Blogbeitrag machen. Nur so viel schon einmal, es erwarten euch einige Überraschungen.

Literaturverzeichnis

Kajonius, P. J. & Johnson, J. (2018). Sex differences in 30 facets of the five factor model of personality in the large public (N= 320,128). Personality and Individual Differences, 129, 126–130.