Gewissenhaftigkeit

Persönlichkeitstestung und Langlebigkeit

Respond

Gewissenhaftigkeit als Prädiktor der Langlebigkeit

Langlebigkeit stellt wohl das Ziel der meisten Medikationen und gesundheitlich relevanten Interventionen bzw. Handlungen dar. Die Umstellung der Ernährung, das Meiden von gesundheitsschädlichen Umgebungen (z.B. abgasbelastete Innenstädte), das Aufsuchen von gesundheitsförderlichen Umgebungen (Kurorte) oder sportliche Tätigkeiten zielen alle nicht nur darauf ab, die jetzige gesundheitliche Situation zu verbessern, sonder auch die Lebensdauer zu verlängern. Denn die Lebensdauer ist am Ende ein Produkt der Lebensführung. So leben Menschen, die sich stets um ihre Gesundheit gekümmert haben, auch länger. Umgekehrt bedeutet das, was gesund ist, erhöht die Langlebigkeit. So stellt die Langlebigkeit den Gesundheitskennwert schlechthin dar. Trotzdem gibt es große Unterschiede über das Ausmaß, mit der eine Person der eigenen Gesundheit zuliebe bestimmte Handlungen zeigt bzw. unterlässt. Ein subsumierender Faktor, der das Ausmaß an gesunden Verhaltensweisen beeinflusst, könnte die Persönlichkeit sein. Im Allgemeinen haben wir bereits einen Beitrag zu diesem Thema geschrieben (hier findest du diesen). Dieser Artikel nun behandelt allerdings nur die Persönlichkeitsmessung der Dimension „Gewissenhaftigkeit". Diese wurde im bereits veröffentlichten Beitrag als entscheidend bei der Prädiktion von Gesundheit und Gesundheitsverhalten beschrieben. Drum werden wir an dieser Stelle noch etwas genauer auf den Faktor eingehen und unter anderem seinen Zusammenhang mit der Lebensdauer beschreiben.

Zusammenfassung

Mittels Persönlichkeitstests konnte bereits in unterschiedlichen Studien ein Zusammenhang zwischen „Gewissenhaftigkeit" und Gesundheitsverhalten sowie Langlebigkeit aufgedeckt werden (Bogg & Roberts, 2012). Dieser Effekte konnten auch bei Kontrolle unterschiedlicher Faktoren wie sozialer Status und Geschlecht gezeigt werden. Hierbei wirkt die Persönlichkeitsdimension „Gewissenhaftigkeit" über mehrere Mediatorvariablen und zeigt seinen Einfluss in Bezug auf zahlreiche Risikohandlungen (Bogg & Roberts, 2004). Auch Längsschnittstudien mit einer Dauer von bis zu 70 Jahren (Martin, Friedman, & Schwartz, 2007) oder bei Persönlichkeitstest im Kindesalter zeigen sich die prädiktiven Qualitäten der Dimension „Gewissenhaftigkeit" (Martin et al., 2007).

Was bringt ein Persönlichkeitstest im Zusammenhang der Langlebigkeit?

Er könnte ein Puzzleteil eines Lebens aufklären. Die Persönlichkeit stellt zwar kein alles erklärendes Konzept dar. Teile jedoch, kann sie erklären. So weiß man heute, dass in unterschiedlichen Situationen und unter wechselnden Bedingungen „Gewissenhaftigkeit" ein valider Prädiktor der Langlebigkeit ist. Ein Persönlichkeitstest kann also nicht vorhersagen, wann eine Person stirbt, allerdings stellt sie einen der vielen Faktoren dar, so vermutet man, die einen Einfluss auf die Langlebigkeit besitzen. So konnte man Zusammenhänge finden unabhängig davon, ob die Personen selbst einen Fragebogen beantwortet haben oder ob ein Nahestehender diesen ausfüllt (Bogg & Roberts, 2012) oder wenn man die Probanden erst im hohen Alter den Persönlichkeitstest ausfüllen (Fry & Debats, 2009). Hierbei wurde bereits auf potenzielle Störfaktoren geachtet. Die Kontrolle des sozialen Status, des Geschlechts und auch die der Intelligenz führen nicht dazu, dass der Langlebigkeitseffekt von Gewissenhaftigkeit verschwindet (Bogg & Roberts, 2012). Der Zusammenhang konnte zudem in sehr heterogenen Stichprobenzusammensetzungen nachgewiesen werden, da unterschiedliche soziale Schichten und Nationalitäten, die durch Ozeane getrennt werden (z.B, Deutschland und Japan), vertreten sind (Kern & Friedman, 2008). Der durchschnittliche Effekt wird auf r= 0,11 geschätzt, womit „Gewissenhaftigkeit" einen größeren Einfluss auf unsere Lebenslänge hat, als Intelligenz (r= 0,07) (Kern & Friedman, 2008).

Wie viele Jahre hat ein gewissenhafter Mensch mehr zu leben?

Da die meisten Studien keine Regressionsanalyse (Klicke hier wenn du eine ausführliche Beschreibung der Regression suchst) anwenden, sondern korrelative Berechnungen durchführen (was ist eine Korrelation) ist diese Frage nicht ganz einfach zu beantworten. Darüber hinaus beeinflusst „Gewissenhaftigkeit" eine Vielzahl von Verhaltensweisen, die ausschlaggebend für die Langlebigkeit sein können. Im Durchschnitt konnte eine Korrelation von r= 0,11 gefunden werden (Bogg & Roberts, 2004). In der Psychologie ein kleiner Effekt. Allerdings können auch kleine Effekte bei einer großen Anzahl Betroffener viel ausmachen. Terracciano, Löckenhoff, Zonderman, Ferrucci, & Costa Jr (2008) haben eine Regressionsanalyse eingesetzt und kamen zum Schluss, dass Personen, die zu den 26 % Gewissenhaftesten gehören zwei bis drei Jahre länger Leben als Personen, die zu denjenigen 26 % gehören, die am geringsten gewissenhaft sind. Bei dieser Untersuchung handelt es sich um eine Längstschnittstudie, die 50 Jahre andauerte und der Daten von 2359 Probanden zur Verfügung standen. Problematisch bei Studien dieser Art ist, dass viele Messinstrumente heute sehr viel genauer messen als früher. Bedenkt man die heutige Studiengrundlage, so könnten zukünftige Studien mit ähnlicher Dauer anhand Persönlichkeitstests zu größeren Einflüssen als Ergebnis kommen. Besitzen die Daten eine ausreichende externe Validität, so sollten die Berechnungen von Terracciano et al. (2008) allerdings auf die Gesamtpopulation, in diesem Fall mindestens der US-Bundesstaat Maryland, übertragbar sein. Bei ca. 6 Millionen Einwohnern des Bundesstaates, können kleine Effekte in absoluten Zahlen große Ausmaße annehmen. Würde sich die „Gewissenhaftigkeit" der 26 % Gewissenlosesten stark verbessern und den Gewissenhaftigkeitswert der 26 Prozent Gewissenhaftesten annehmen, so würden ca. 1,5 Millionen Personen in Maryland 2 bis 3 Jahre länger leben. Summiert sind dies 3 bis 4,5 Millionen Jahre, die mehr gelebt werden würden von den Bewohnern Marylands.

Persönlichkeitstests der Gewissenhaftigkeit von Kindheit

Die Forschung ist immer daran interessiert, Vorhersagen möglichst früh und mit geringen Einschränkungen treffen zu können. Insofern ist der Zusammenhang von „Gewissenhaftigkeit" in der Kindheit mit Langlebigkeit sehr interessant. Die meisten Persönlichkeitstests beziehen sich allerdings auf Erwachsene bzw. junge Erwachsene, da man davon ausgeht, dass die Persönlichkeit eines Kindes noch stark schwanken kann. Allerdings ist inzwischen bekannt, dass bereits in der frühen Kindheit bestimmte Charakteristika eines Kindes, die als Temperament bezeichnet werden, große Zusammenhänge mit der späteren Persönlichkeit als Erwachsener aufweisen (Rauthmann, 2016). Daten einer Erhebung, die in den 1920er Jahren begann, wurden aufbereitet und zur Berechnung eines Zusammenhangs zwischen „Gewissenhaftigkeit" und Langlebigkeit genutzt, wobei ein Persönlichkeitstest sowohl im Kindesalter, als auch im Erwachsenenalter abgelegt worden ist (Terracciano et al., 2008). Nun waren die Kinder zum Zeitpunkt der Messung bereits dem frühkindlichen Alter entwachsen. Jedoch ist kein Kind älter als 15 Jahre gewesen. Die Stichprobe von 1.253 Probanden bestand außerdem nur aus hochbegabten, die bei einem IQ-Test mindestens den Wert 135 erreichten (Terracciano et al., 2008). Diese wurden die folgenden 70 Jahre begleitet. Spannend bei den Ergebnissen ist, dass sowohl die Gewissenhaftigkeitsmessung im Kindesalter und auch die im Erwachsenenalter die Langlebigkeit vorhersagen. Sie klären hierbei nicht die gleiche Varianz auf. Das bedeutet, dass die „Gewissenhaftigkeit" in der Kindheit nicht bedeutungsgleich mit der im Erwachsenenalter ist. Beide Messungen verbessern also die Vorhersage jeweils (Terracciano et al., 2008). Man spricht hierbei auch von einer inkrementellen Validität. Darüber hinaus sagt die Studie noch etwas anderes aus. Auch bei Hochbegabten ist „Gewissenhaftigkeit" ein relevanter Prädiktor der Langlebigkeit (Terracciano et al., 2008).

Persönlichkeitstests zur Gewissenhaftigkeit im hohen Alter

2009 haben Fry & Debats eine Studie veröffentlicht, bei der ein Persönlichkeitstest erst im hohen Alter durchgeführt wurde. Sie verfolgten ihre Probanden 6,5 Jahre lang und in dieser Zeit starben von ursprünglich 450 Probanden 138. Es zeigte sich, dass die Verstorbenen im Durchschnitt eine geringere „Gewissenhaftigkeit" aufwiesen. Es handelt sich um einen starken Effekt (Cohen’s d= 1; r= 0,42), womit 84% der nichtgestorbenen eine höhere „Gewissenhaftigkeit" aufweisen, als der durchschnittlich Gewissenhafte der Gruppe der verstorbenen. Etwas anschaulicher ist, dass von denjenigen Probanden, die gewissenhafter sind als der durchschnittliche Verstorbenen, 79,2% nicht verstorben sind. Die Wahrscheinlichkeit der Probanden, länger zu leben, wenn sie gewissenhafter sind, als der durchschnittliche Verstorbene, liegt entsprechend bei 79,2 %. Fry& Debats (2009) konnten also zeigen, dass selbst „kurz" vor dem Tod, ein Persönlichkeitstest zur Messung der Gewissenhaftigkeit die Prädiktion der Langlebigkeit verbessert. Erwähnenswert bei dieser Studie ist, dass der Persönlichkeitstest auch die anderen Dimensionen der Big-Five gemessen hat. Einen stärkeren Effekt als „Gewissenhaftigkeit" hatte nur „Extraversion". Der Effekt ist jedoch nur minimal größer mit einem Cohen’s d von 1,02. Der starke Effekt von „Extraversion" könnte auf das hohe Aktivitätsbedürfnis von stark Extravertierten zurückzuführen sein. Ihre Neigung zum Sport könnte Extravertierte also länger leben lassen.

Literaturverzeichnis

Bogg, T., & Roberts, B. W. (2004). Conscientiousness and health-related behaviors: A meta-analysis of the leading behavioral contributors to mortality. Psychological Bulletin, 130(6), 887.

Bogg, T., & Roberts, B. W. (2012). The case for conscientiousness: Evidence and implications for a personality trait marker of health and longevity. Annals of Behavioral Medicine, 45(3), 278–288.

Fry, P. S., & Debats, D. L. (2009). Perfectionism and the five-factor personality traits as predictors of mortality in older adults. Journal of Health Psychology, 14(4), 513–524.

Kern, M. L., & Friedman, H. S. (2008). Do conscientious individuals live longer? A quantitative review. Health Psychology, 27(5), 505.

Martin, L. R., Friedman, H. S., & Schwartz, J. E. (2007). Personality and mortality risk across the life span: The importance of conscientiousness as a biopsychosocial attribute. Health Psychology, 26(4), 428.

Rauthmann, J. F. (2016). Grundlagen der Differentiellen und Persönlichkeitspsychologie: Eine Übersicht für Psychologie-Studierende (1. Auflage). essentials. Wiesbaden: Springer. Retrieved from

Terracciano, A., Löckenhoff, C. E., Zonderman, A. B., Ferrucci, L., & Costa Jr, P. T. (2008). Personality predictors of longevity: Activity, emotional stability, and conscientiousness. Psychosomatic Medicine, 70(6), 621.